25. Oktober 2019 – Eine im Juli dieses Jahres in der Wissenschaftszeitschrift Science veröffentlichte Studie von Forschern der ETH Zürich sorgt derzeit für Aufsehen. Mitarbeitende des Crowther Labs ermittelten aufgrund von Satellitendaten und Modellrechnungen das weltweite Potenzial von Aufforstungen zur Bekämpfung der Klimaerwärmung (Link zur Publikation). Ackerbaulich genutzte sowie besiedelte Flächen schlossen die Forscher aus. Die potenzielle Aufforstungsfläche geben sie mit 900 Millionen Hektaren an.
Würde eine solche Fläche wirklich aufgeforstet, entspräche dies einer Zunahme der aktuellen globalen Waldfläche um mehr als 30 Prozent! Durch das Wachstum der Bäume auf einer solch grossen Fläche liesse sich viel CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Laut Berechnungen der Forscher entspricht dies zwei Drittel der seit der Industrialisierung erfolgten Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Angesichts dieser spektakulären Ergebnisse erstaunt es nicht, dass die Studie eine unglaublich starke internationale Medienresonanz erhielt. Einen guten Teil des Klimaproblems mit «unschuldigen» Bäumen zu lösen, das klingt doch einfach gut. Dieser reizvollen Vorstellung erlag offenbar auch «Science».
Sind die Ergebnisse aber auch robust? Rasch meldeten sich kritische Stimmen aus der Wissenschaft. Gut drei Monate nach der Veröffentlichung der Studie hat «Science» nun mehrere Artikel publiziert, die offenbar gravierende Mängel der Studie aufdecken (Link zu den Kommentaren und zur ETH-Meldung). Die Autoren der Studie haben ihrerseits Stellung dazu genommen. Die zentrale Aussage im Abstract, wonach globale Aufforstung die derzeit effektivste Lösung in Zusammenhang mit dem Klimawandel sei, haben sie inzwischen abgeschwächt: «This highlights global tree restoration as one of the most effective carbon drawdown solutions to day.»
Auf den ersten Blick könnte man sagen, die Kontrollmechanismen in der Wissenschaft funktionieren. Publizierte Ergebnisse werden gegenseitig kritisch beleuchtet und diskutiert. Bei näherer Betrachtung der geäusserten Kritik fragt sich jedoch, wieso die Studie in dieser Form in «Science» überhaupt publiziert werden konnte. Und die Vorkommnisse werfen grundsätzliche Fragen zum Wissenschaftssystem von heute auf. Die ETH Zürich macht es sich diesbezüglich ein bisschen zu einfach, wenn sie dazu eine Newsmeldung mit dem Titel «Wissenschaft ist immer ein Diskurs» veröffentlicht.
Keine Frage: Wälder und Bäume spielen eine wichtige Rolle bei den Bemühungen, den Klimawandel einzudämmen (vgl. NZZ-Artikel). Der Schutz der bestehenden Wälder sowie Aufforstungen beziehungsweise die Wiederherstellung degradierter Wälder ist mehr Beachtung zu schenken. Doch die Proportionen sind zu wahren. Es ist nicht dienlich oder sogar gefährlich, unrealistische Hoffnungen bei einer global so zentralen Herausforderung wie dem Klimawandel zu wecken.
So mutet es ziemlich eigenartig an, wenn die Forscher die erst in einigen Jahrzehnten durch die aufgeforsteten Bäume aufgenommene Menge Kohlendioxid eines Waldes (mit diesen Bäumen kann noch viel passieren) mit den bisherigen Emissionen seit der Industrialisierung vergleichen. Üblicherweise stellt man die in einer bestimmten Periode gebundene Menge Kohlenstoff (in Bäumen oder Ökosystemen) den im selben Zeitraum erfolgten (anthropogenen) Emissionen gegenüber. Und bei einer solchen Betrachtung zeigt sich, dass wenn die von den Forschern angenommene Menge Kohlendioxid in einigen Jahrzehnten tatsächlich durch die Bäume gebunden sein sollte, bei gleichbleibendem und fortschreitendem CO2-Austoss durch die Verbrennung fossiler Energien dieselbe Menge CO2 ungefähr in 20 Jahren emittiert würde (vgl. auch die Kommentare von Veldman et al. und Friedlingstein et al.). Aufforsten ohne gleichzeitig, die Emissionen zu reduzieren kann also nie und nimmer zielführend sein. Leider aber geht dieser Aspekt aus der Publikation nicht deutlich hervor. Als Folge davon sind die Resultate in vielen Medienberichten stark verkürzt dargestellt worden. Anstatt Aufforstungen als eine Möglichkeit zu sehen, um CO2 aus der Atmosphäre zu binden, wurde es als die Lösung dargestellt, mit der sich ein guter Teil der Klimaerwärmung abwenden liesse.
Was ist schief gelaufen? Die Zuspitzung im Abstract der Originalversion ist zu stark ausgefallen und wird auch zu wenig eingebettet. In Vorträgen (etwa an der Scientifica) äussert sich Tom Crowther, der Leiter der ETH-Gruppe, inzwischen differenzierter. Er geht auch auf Kritikpunkte ein. Ärgerlich sind aber die sehr plakativen Botschaften, die auf Tafeln vermittelt werden (vgl. Foto). Anlässlich der Publikation in Science im Juli hat die Medienstelle der ETH Zürich noch eins draufgegeben und den Vergleich der potenziellen Kohlenstoffbindung mit den bisherigen Emissionen in ihrer Mitteilung prominent im Leadtext platziert. Wollte man so möglichst viel Aufmerksamkeit bei den Medien gewinnen? Und schliesslich macht auch «Science» keine gute Figur. Die gut geölte PR-Maschine der Zeitschrift, die weltweit unzählige Wissenschaftsjournalisten jeweils mit Informationen bereits vor der Veröffentlichung einer Publikation versorgt, funktionierte einmal mehr. Sendungsbewusste Wissenschaftler, unterstützt durch die mediale Vermarktung der Hochschule und eine kommerziell orientierte Wissenschaftszeitschrift trugen zur grossen medialen Präsenz bei. Doch nun hagelt es heftige Kritik. Die Sache ist den Protagonisten entglitten.
«Science» schickte einen Journalisten nach Zürich und breitete die Kontroverse eine Woche nach der Veröffentlichung der Kritik an der Studie in einem langen Feature soeben noch einmal aus. Kein Wort geschweige denn auch nur leise Kritik über die eigene Rolle in dieser Angelegenheit. Man kann durchaus zur Schlussfolgerung gelangen, dass dieses «Wissensproduktionssystem» inzwischen eine ungesunde und problematische Form angenommen hat. Offensichtlich besteht nicht nur dringender Handlungsbedarf beim Kampf gegen den Klimawandel, sondern auch am Wissenschaftssystem und den Kräften und Sachzwängen, die dieses antreiben. Auch stellt sich die Frage, wer die mächtigen wissenschaftlichen Zeitschriften kontrolliert und über welche Legitimation diese eigentlich verfügen.
Die wissenschaftliche und politische Debatte über Aufforstungen und Kohlenstoffsenken läuft, seitdem die internationale Staatengemeinschaft 1997 das Kyotoprotokoll mit erstmals verbindlichen Emissionsreduktionszielen verabschiedet hat. Die Materie ist äusserst komplex und die Abschätzung und Quantifizierung der biologischen Kohlenstoffsenken und -quellen beziehungsweise deren künftige Entwicklung vorherzusagen, ist nach wie vor eine Knacknuss Die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf Wald und Bäume sowie die komplexen Wechselwirkungen und Rückkoppelungen sind seit Jahren ein wichtiges Thema in der ökologischen Forschung. Angesichts der Folgen des trockenen Sommers 2018 auf den Wald sind diese Bemühungen zu verstärken (vgl. «Was läuft ab im Schweizer Wald»).
Das Potenzial für Aufforstungen zu kennen, ist wichtig. Im Rahmen der Energiestrategie 2050 wird beispielsweise auch versucht, das Potenzial der Erneuerbaren Energien zu ermitteln. Man will wissen, was möglich ist. Nur so lassen sich sinnvolle Strategien formulieren und deren Umsetzung an die Hand nehmen. Erfolgreiche Projekte sind zudem von unschätzbarem Wert. Projekte, die auch die Interessen und Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung berücksichtigen. Von solchen Projekten kann man lernen. Und darüber sollten auch die Medien berichten. Zum Beispiel über Tony Rinaudo, der in Afrika eine Methode entwickelt hat, wie Aufforstungen in trockenen Gebieten gelingen. Er hat dafür den Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) erhalten. Oder den weltbekannten Fotografen Sebastião Salgado, der zusammen mit seiner Frau auf dem Land der Farm seines Vaters in Brasilien unzählige Bäume hat anpflanzen lassen. Das Gebiet ist inzwischen zu einem Nationalpark geworden. Salgado hat am Sonntag den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten.