18. Juli 2019 – Im Sommer 2018 war es trocken in der Schweiz, in einigen Regionen sogar sehr trocken. Vielerorts verfärbten sich die Blätter der Bäume bereits im Juli. Drei Monate früher als in normalen Jahren. Dort wo der Wassermangel extrem war, brachen bei Buchen und Eichen auch ganze Äste ab.
Die grosse Frage lautete: Wie wirkt sich die Trockenheit, die sich bis weit in den Herbst hineinzog, im darauffolgenden Jahr auf die Bäume und den Wald aus? Treiben die Buchen, die stellenweise stark gelitten haben, wieder aus? Und wie viele werden wohl absterben? Die Forstleute warteten diesen Frühling gespannt auf das Austreiben der Bäume. Und sie hofften auf ausgiebigen Regen, der im Frühjahr teilweise ausblieb. Das Wasserdefizit der Vormonate hielt sich hartnäckig. Nur nicht gleich ein weiterer Schlag für die angeschlagenen Bäume, dachten wohl viele.
Nun ist klar: Nicht alle Regionen der Schweiz sind gleich stark betroffen. Ziemlich dramatisch ist die Situation in der Ajoie im Kanton Jura. Dort sterben offenbar Bestände mit Buchen flächig ab. Rund 1500 Hektaren Wald sollen betroffen sein. Der Kanton beziffert die Holzmenge der abgestorbenen Buchen auf mehr als 100’000 m3. Hinzu kommen die Eschen, die von einem eingeschleppten Pilz dahingerafft werden, sowie die Fichten, denen der Borkenkäfer zu schaffen macht. Nur die Buchen betrachtet, sind in der Ajoie wohl mehr als zehn Prozent der Waldfläche betroffen, und der Verlust an Holzvolumen könnte rund fünf Prozent betragen.
Ein weiterer Brennpunkt ist der Hardwald bei Basel. Im Mai sperrte die Bürgergemeinde Basel als Eigentümerin und die betroffenen Gemeinden grosse Teile des Waldes wegen der Gefahr umstürzender Bäume. Die Anzeichnung ergab nun, dass noch mehr Bäume betroffen sind, als ursprünglich angenommen. Die Bilder sind eindrücklich.
Der Hardwald stockt auf Schotterböden, die von Natur aus zur Trockenheit neigen. Mit den Baumpflanzungen ergaben sich jedenfalls schon früher Schwierigkeiten. In trockenen Jahren gingen jeweils viele junge Bäumchen auf den offenen Flächen ein. 1947 war es sehr trocken, und in Basel war das Trinkwasser knapp. Nach einer Evaluation verschiedener Varianten entschied man sich für eine Grundwasseranreicherung mit Flusswasser aus dem Rhein zur Trinkwassergewinnung – unter anderem auch im Hardwald. Der Wald wird quasi bewässert. Grundwasserspiegel liegt aber zu tief, als dass die Bäume davon profitieren könnten.
1947 könnte tatsächlich mit 2018 vergleichbar sein. Jedenfalls können sich ältere Menschen daran erinnern, dass 1947 beispielsweise in Stein am Rhein die Buchen ebenfalls Mühe gehabt haben. Und im Baselbieter Jura soll damals auch die Weisstanne stark dezimiert worden sein. In Deutschland sind in wissenschaftlichen Zeitschriften Artikel erschienen, die von einem «Buchensterben» berichteten.
Dass die Fichte Probleme bekundet, überrascht nicht wirklich. Nach dem Strum «Lothar» 1999 und dem Hitzesommer 2003 stiegen die durch den Borkenkäfer verursachten Schäden massiv an. Seit 2005 hat der Fichtenanteil im Schweizer Mittelland um mehr als 30 Prozent abgenommen. Vor dem Hintergrund, dass sich die Zusammensetzung des Waldes eher langsam wandelt, stellen das grosse Veränderungen innerhalb relativ kurzer Zeit dar.
Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts plädierte Karl Gayer für den Mischwald und riet von reinen Nadelholzbeständen ab. Der deutsche Forstwissenschaftler, der in München lehrte, hielt in seinem Buch mit dem Titel «Der gemischte Wald» fest: «Wollte man, wie es von vereinzelten Stimmen verlangt wird, einigen wenigen Nadelholzarten die Alleinherrschaft im zukünftigen Walde einräumen, so wäre das jener allgemeine Wälderzustand, in welchem nicht mehr der Eigentümer die Wirtschaft im Walde führt, sondern der Sturm, die Insekten und die übrigen ihn bedrohenden Gefahren und Angriffe, wie es leider an vielen Orten schon heute der Fall ist. Es ist ein alterkanntes Gesetz, dass mit der Störung des Gleichgewichtes in der natürlichen Ordnung der Dinge, ein verstärktes Heraufwachsen der Gefahren für das Bestehende verknüpft ist». Da warnte einer also schon vor 135 Jahren und redete seinen Zeitgenossen ins Gewissen: «Erkennen wir an, dass die Natur schliesslich unsere beste Lehrmeisterin ist, und dass wir uns nicht auf Wegen bewegen dürfen, die allzuweit vor ihren Bahnen abliegen.»
Wären die Ratschläge von Gayer konsequent befolgt worden, stünden die Forstbetriebe und Waldeigentümer heute besser da? In einigen Regionen Europas wäre dies sicher so. Doch man muss ernüchternd feststellen, dass selbst Forstbetriebe, die als vorbildlich gelten, zunehmend mit Problemen konfrontiert sind. Zum Beispiel die Bürgergemeinde im thurgauischen Basadingen, die 2016 den Binding Waldpreis erhalten hat (.pdf-Dokument). Die gut strukturierten Mischwälder mit Buchen, Fichten, Weissstannen und Eichen sind aus ehemaligen Mittelwäldern hervorgegangen. Die Nadelbäume wuchsen langsam heran und konnten ein gutes Wurzelwerk ausbilden. Und trotzdem leiden die Bäume unter der Trockenheit, und der Borkenkäfer befällt Fichten. Im Frühling wollte ich einem alten Schulfreund drei alte, markante Fichten zeigen. Diese waren bekannt unter dem inoffiziellen Namen «Die drei Eidgenossen» (Foto). Doch wir fanden nicht die stolzen Fichten, sondern nur die drei Wurzelstöcke der gefällten Bäume (Foto). Ich erkundigte mich und erfuhr, dass die Bäume wegen des Borkenkäfers (Buchdrucker) gefällt wurden. Das muss ein emotionaler Moment für den Revierförster gewesen sein.
Auch die Weisstannen sorgen für Rätsel. Ich war am Jurasüdfuss an einer Begehung dabei, und der Förster berichtete, im Wald seines Reviers seien 20 bis 30 Prozent der stattlichen Weisstannen in den letzten Monaten abgestorben. Die Bäume sind mit ihren rotbraunen Kronen weit herum sichtbar. Aufgrund ihrer Eigenschaften ist die Weisstanne eine wichtige Baumart im naturnahen Waldbau und könnte als Nadelbaum bis zu einem gewissen Grad auch die Fichte ersetzen. Sie galt bisher als relativ trockenheitsresistent und wurde deshalb angesichts des Klimawandels auch propagiert. Die Hoffnung ist inzwischen einer gewissen Ernüchterung gewichen. Spricht man mit erfahrenen Förstern, so erfährt man jedoch, dass die Weisstannen schon früher immer wieder mal Probleme hatten.
Ein Unterschied zu früher könnte sein, dass nach Trockenperioden wie etwa in den späten 1940er-Jahren immer wieder feuchte Perioden folgten. Heute hingegen häufen sich trockene und auch heisse Jahre. Dürre und Hitze wirken zusammen und verstärken sich gegenseitig. In Nordamerika sprechen Fachleute neuerdings von «hotter droughts».
Wo führt das alles hin? Wenn wir nun den Wandel an einigen exponierten Stellen ziemlich dramatisch vorgeführt bekommen, findet dort dann eine Art «Flurbereinigung» auf den Standorten mit extremen Bedingungen statt? Oder kommt es zu einer Beschleunigung, so dass immer mehr Waldgebiete betroffen sind? Was im Wald passiert und welche Bäume, wo gut wachsen oder eben Probleme bekommen, dies zu beobachten und zu erkennen, das wird zentral sein. Nur so lassen sich Spielräume erkennen und auch Chancen nutzen – gerade auch bei den Baumarten, die nun Mühe haben. Grundsätzlich gilt es aber zu akzeptieren, dass es zu Veränderungen bei den Baumarten kommen wird. Die zentrale Frage ist, wie dieser Wandel ablaufen wird. Erfolgt er einigermassen geordnet? Oder vollzieht er sich vielmehr chaotisch und unberechenbar? Die Zukunft mitgestalten wäre eindeutig die bessere Option.
Artikel in der NZZ vom 11. Juli 2019 – Langversion als .pdf-Dokument
Artikel in der NZZ vom 3. August 2018
Aufsatz von Peter Burschel über Karl Gayer (.pdf-Dokument)
Weitere Fotos:
Rotbraune Weisstanne im Forstebetrieb Leberberg
Mächtige Weisstanne auf dem Stadlerberg
Stämme von Weisstanne und Rottannen – gar nicht immer leicht zu unterscheiden