10. Mai 2016 – Den Promotoren des Parc Adula ist der Geduldsfaden gerissen. Nachdem der Bund mit reichlicher Verspätung seine offenbar kritische Antwort zum Vorschlag der Charta des Parc Adula bekannt gegeben hatte, setzten sie einen Brief auf. Empfängerin: Doris Leuthard, Bundesrätin und Vorsteherin des UVEK.
Man wünscht ein Gespräch mit der Magistratin. Und fordert Klärung. Wie das nun sei mit dem «bottom-up»-Prozess, der der Bevölkerung bei der Gründung eines Nationalparks der neuen Generation eigentlich eine entscheidende Rolle beimessen sollte. Und welche wirtschaftlichen Aktivitäten in der sogenannten Umgebungszone künftig möglich sein werden. Die Zeit drängt. Nach 16 Jahren Planung will man das Projekt im November der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen. Und wenn etwas klar ist, dann dies: Die Bevölkerung will wissen, was künftig in der Kern- und der Umgebungszone gilt.
Dass diese Fragen erst jetzt zum Thema werden, ist erstaunlich und seltsam. Natürlich ist der Parc Adula der erste Nationalpark-Kandidat. Man muss sich also herantasten. Das gilt für die Verantwortlichen des Projektes, die Kantone und den Bund gleichermassen. In der Schweiz haben wir noch keine Erfahrungen mit der Schaffung von Nationalpärken der neuen Generation. Und als Erster muss man immer auch Lehrgeld zahlen. Aber so wie es jetzt gelaufen ist, muss und darf es nicht sein.
Lange war ich der Auffassung, die Einschränkungen in der Kernzone seien die grösste Hürde. Nun zeigt sich aber, dass die Umgebungszone nicht minder wichtig ist. Angestossen hat die Diskussion Pro Natura Anfang Jahr. Als Reaktion auf den Entwurf der Charta gab die Naturschutzorganisation zu Bedenken, dass in der Umgebungszone künftig der Artikel 18 der Pärkeverordnung zur Anwendung komme. Das ist richtig. Somit stellt sich die Frage, wie dieser Artikel zu interpretieren ist. Die Promotoren stellen sich auf den Standpunkt, dass damit keine neuen Einschränkungen verbunden sind. Sollten neue Auflagen gelten, dann stellt sich tatsächlich die Frage, wie mit einer solch ausgedehnten Umgebungszone sich die kommunalen Abstimmungen gewinnen lassen.
Möchte man wissen, was mit dem Artikel 18 gemeint sein könnte, muss man sich wegen fehlender Praxis mit der Entstehung der Pärkeverordnung auseinandersetzen. Und da war damals die Rede davon, dass in der Umgebungszone vergleichbare Regeln gelten sollen wie in den Regionalen Naturpärken. Davon existieren in der Schweiz schon mehrere; sie könnten somit als Massstab herangezogen werden.
Die Umsetzung von Artikel 18 ist eine Gratwanderung. Der Bund muss Farbe bekennen. Die Naturschutzorganisationen müssen sich ebenfalls zu einer verlässlichen Position durchringen. Wird das Fuder überladen, wird die Schweiz bis auf weiteres keine Gründung eines neuen Nationalparks erleben. Aber auch die Verantwortlichen des Parc Adula müssen sich die Frage stellen, welche Entwicklung in der Umgebungszone des Nationalparks anzustreben ist. Es geht hier vor allem auch um die Glaubwürdigkeit. Wie es beispielsweise in Vals weitergeht, ist nicht ganz unerheblich. In der geplanten Umgebungszone befinden sich zudem drei Stauseen. Was geschieht, wenn deren Konzessionen zu erneuern sind? Für den Stausee Zervreila läuft die Konzession bis 2037, für den Lago di Luzzone bis 2042.
Am 1. Juni feiert die Schweiz die Eröffnung des Gotthardbasistunnels. Vergessen wir dabei nicht, was zwei Stockwerke höher in den Bergen abläuft. Die ökonomischen Perspektiven dort sind wenig rosig. Doch haben diese Regionen nicht auch eine faire Chance verdient? Die Schweiz sollte über die Zukunft des Berggebietes nachdenken. Am Gotthardbasistunnel liesse sich dabei bestens anknüpfen, zumal dieser direkt unter dem Parc Adula hindurchführt (der Name «Gotthardbasistunnel» ist eigentlich falsch, denn der Tunnel liegt unter dem Lukmanier). Und gerade ein Parc Adula würde eine spannende Plattform für neue und vielfältigste Kooperationen zwischen dem Berggebiet und den urbanen Räumen bieten.
Wie neue Nationalpärke realistischerweise auf den Weg gebracht werden können, dazu sollte möglichst bald ein klärendes Symposium im Adula-Gebiet durchgeführt werden. Ohne einen minimalen Konsens über die Anforderungen an die Kern- und Umgebungszone geht es nicht. Ein am Symposium verabschiedeter Appell an alle involvierten Kreise könnte vielleicht dem gefährdeten Projekt neuen Schub verleihen. Und Bundesrätin Leuthard könnte nach der für die Schweizer Verhältnisse pompösen Eröffnung des Kernstücks der NEAT am Symposium aufzeigen, wie sie sich einen Nationalpark der neuen Generation vorstellt. Als die Landesregierung die Pärkeverordnung 2007 in Kraft setzte, war sie nämlich bereits Mitglied des Bundesrates und damit mit von der Partie.
Artikel Tages-Anzeiger vom 10. Mai 2016
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