21. November 2016 – Am 27. November 2016 stimmen drei Tessiner und 14 Bündner Gemeinden über den Parc Adula ab. Befürwortet die Bevölkerung das Projekt, so bekommt die Schweiz nach über hundert Jahren einen zweiten Nationalpark. Seinen Namen hat der geplante Nationalpark vom Rheinwaldhorn, italienisch Adula. Dessen Territorium erstreckte sich vom Calancatal und oberen Misox über das Rheinwald, die Surselva bis ins Bleniotal. Mit 1250 Quadratkilometer wäre der Parc Adula etwas grösser als der Kanton Uri.
In der 142 Quadratkilometer grossen Kernzone (11,4 Prozent der gesamten Parkfläche) ist eine Nutzung grundsätzlich ausgeschlossen, wobei gewisse Ausnahmen zulässig sind. Wanderer, Bergsteiger und Skitourenfahrer müssen sich an die offiziellen Wege und Routen halten. Die Regeln für die Kernzone sind in der sogenannten Charta des Parks festgehalten. In der Umgebungszone hingegen stehen die nachhaltige Entwicklung und die Pflege der Kulturlandschaft im Vordergrund. Die Gegner des Parc Adula befürchten zusätzliche Einschränkungen auch in der Umgebungszone. Die Promotoren des Nationalparks, Vertreter der Kantone Graubünden und Tessin sowie Bundesrätin Leuthard betonen jedoch, dass die Ziele in der Umgebungszone nicht über neue Verbote erreicht werden sollen. Sie sehen im Nationalpark eine grosse Chance für die Region.
Die Debatten im Vorfeld der Abstimmung zeigen deutlich, dass das Misstrauen in der Bevölkerung gross ist. Die Diskussionen verharren allzu oft in einem klassischen Schwarz-Weiss-Muster. Die heftigen und teilweise auch giftigen Auseinandersetzungen erstaunen. Hier bricht irgendetwas auf. Das gegenseitige Verständnis und der Zusammenhalt von wirtschaftlich starken Zentren und dem Berggebiet scheint zu bröckeln. Doch gerade Projekte wie der Parc Adula könnten eine neue Plattform bieten, auf der die Beziehungen erneuert und auch neu ausgehandelt werden können.
Diese Möglichkeit betont auch der Bündner Architekt Gion A. Caminada. Mit seiner Studie über den Lebensraum und die Nationalparkidee setzt er einen wohltuenden Akzent in der polarisierten Diskussion. In seiner Vorstellung könnte der Park viel mehr sein als lediglich ein Projekt zum Schutz der Natur oder ein touristisches Projekt zur Entwicklung der regionalen Ökonomie. Er könnte zum Ort neuer Beziehungen zwischen den städtischen und ländlichen Räumen, zwischen den Tälern im Park und zwischen Mensch und Natur werden.
In der Debatte um neue Nationalpärke wird oft die Kernzone, in der sich die Natur frei entwickeln kann, in Frage gestellt. Der wirtschaftende Mensch gehöre doch einfach dazu. Das stimmt, der Mensch gehört dazu, und wir müssen die natürlichen Ressourcen auf unserem Planeten auch nutzen, wenn wir überleben wollen. Doch es gibt noch eine andere Dimension: Der Eigenwert der Natur. Bei den Nationalpärken geht es letztlich um relativ bescheidene Flächen, wo wir Menschen uns eine Selbstbeschränkung auferlegen. Es ist ein bewusster Entscheid, dass wir nicht alles nutzen und unseren Fuss nicht überall hinsetzen. Und es ist ein Zeichen des Respekts gegenüber der Natur.
Besuch in Vrin: Artikel «Heftige Diskussionen um den Parc Adula» – (.pdf Dokument)
Gedanken der Gruppe von Gion A. Caminada – Die Tore zum Adula – (.pdf-Dokument)
SRF 1 Regionaljournal Graubünden – Gespräch mit Gion A. Caminada
Weitere Artikel über den Parc Adula:
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Zwischen allen Fronten
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Im neuen Nationalpark Schwarzwald
Wasserkraft und Verkehr im Nationalpark
Artikel im Tages-Anzeiger vom 10. Mai 2016:
Kein Nationalpark ohne Bevölkerung – Langversion mit weiterführenden Links (.pdf Dokument)