2. Juni 2020 – Die Buche ist der europäische Baum schlechthin. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Sizilien bis Südschweden, von den Pyrenäen bis in die Karpaten, von Südengland bis nach Griechenland. Das ist erstaunlich. Denn nach der letzten Eiszeit fand die Buche den Weg relativ spät zurück in die Regionen nördlich der Alpen. Erst vor rund 6000 Jahren fasste sie in der Schweiz Fuss.
Umso bemerkenswerter ist es, wie dominant die Buche in vielen Wäldern heute ist. Offenbar bedient sie sich einer cleveren Strategie. Die etablierten Buchen bilden ein dichtes Blätterdach. Im Schatten gelingt es nur wenigen Baumarten, nach dem Keimen auch Wurzeln zu schlagen. Die Nachkommen der Buchen, die Buchensämlinge, zählen dazu. Überdauern sie die ersten Jahre, und erhalten sie dann plötzlich etwas mehr Licht, so nutzen sie ihren Vorsprung gegenüber den anderen Baumarten. Einzig in den mitteleuropäischen Tiefebenen sowie in höheren Lagen ab 1200 bis 1500 Meter über Meer lässt die Konkurrenzkraft der Buche nach. Die Dominanz des Laubbaums führte wohl dazu, dass die Buche bisweilen auch als Mutter des Waldes bezeichnet wird.
Obwohl Buchen bereits Mitte des 20. Jahrhunderts, als einige trockene Jahre kurz nach einander folgten, gemäss Berichten vielerorts Mühe gehabt hatten und auch gehäuft abgestorben waren, war die Überraschung ziemlich gross, als nach dem heissen und trockenen Sommer 2018 das Laub vieler Buchen sich bereits im August verfärbte und einzelne Bäume ihre Blätter sogar abgeworfen hatten. Diese Symptome zeigten vor allem etablierte und scheinbar vitale Bäume. Im Unterschied zu den kleineren Bäumen im Waldesinnern, waren ihre Blätter in der prallen Sonne und trockenen Luft.
Im Sommer 2019 begann sich schliesslich das wahre Ausmass der Baumschäden abzuzeichnen. Offenbar waren viele Bäume weiterhin geschwächt, die Leitbahnen für die Wasserversorgung der Blätter waren geschädigt. Im Frühling 2020 zeigt sich nun, dass die Kronen der Buchen teilweise immer noch schwach belaubt sind und eine Erholung mehr Zeit benötigt – zum Beispiel am Zürichberg, wie die Fotos eindrücklich belegen.
Bisher war der Sommer 2003 bezüglich Hitze und Trockenheit das Referenzjahr. 2018 setzte nun aber einen neuen Massstab. Im Sommer 2019 fand in Basel ein Workshop von Pflanzenphysiologen und Waldökologen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich statt, um eine erste Bilanz über die Auswirkungen der Trockenheit auf den Wald in den drei Ländern zu ziehen (vgl. Publikation). Ein Vergleich der Klimadaten zeigt, dass die Menge der Niederschläge während der Vegetationsperiode von April bis Oktober 2018 mit denjenigen 2003 vergleichbar war. Die durchschnittliche Temperatur während der Vegetationsperiode lag 2018 hingegen 1,3 Grad über dem Wert von 2003 und sogar 3,3 Grad über dem Mittel der Jahre 1961 bis 1990. Die für das Pflanzenwachstum wichtige klimatische Wasserbilanz, die Differenz von Niederschlägen und potenzieller Verdunstung, sowie das Wasserdampfdefizit der Luft, ein Mass für deren Trockenheit, erreichten 2018 ebenfalls neue Spitzenwerte (vgl. Abbildung).
Dass 2018 so deutliche Spuren bei den Bäumen hinterlassen hat, könnte somit an der Kombination von Wassermangel, hohen Temperaturen und trockener Luft liegen. In der Fachwelt wird dafür seit einigen Jahren der Ausdruck «hot droughts» verwendet. Offenbar sind Dürren dann besonders gravierend, wenn aufgrund hoher Temperaturen auch das Wasserdampfdefizit in der Luft sehr hoch ist. Und genau solche Verhältnisse werden sich im Zuge der Klimaerwärmung häufiger einstellen.
Eine andere plausible Erklärung für die verbreiteten Waldschäden nach der Dürre 2018 besteht darin, dass es bereits in den Vorjahren ausgeprägte trockene Phasen gab. Sie folgte zudem auf einen folgenschweren Spätfrost im Frühling 2017. Somit blieb den Bäumen zwischen den extremen Ereignissen schlicht nicht genügend Zeit, sich zu regenerieren. Ich konnte darüber kürzlich einen Artikel in der NZZ veröffentlichen.
Für die Förster und Waldeigentümer stellen sich nun neue Fragen. Laubbäume mit dürren Kronenteilen entlang der Waldwege stellen ein Risiko dar. Deshalb sind 2019 ganze Waldgebiete – etwa grosse Teile des Hardwalds bei Basel – für Besuchende gesperrt worden. Der Kanton Jura schickte vor dem Beginn der Jagd im letzten Herbst einen Brief an alle Jägerinnen und Jäger und warnte sie vor den Gefahren im Wald. Inzwischen hat man gefährliche Bäume entlang von Verkehrswegen entfernt. Doch längst noch nicht alle Waldwege sind wieder geöffnet. Nach einem Grosseinsatz ist der Hardwald bei Basel seit Anfang April 2020 für die Bevölkerung wieder geöffnet.
Am Zürichberg werden abgestorbene Kronenäste, die eine Gefahr für Erholungssuchende im Wald darstellen, mit langen Greifern entfernt. Vor allem Buchen sind davon betroffen (Foto 1, Foto 2, Foto 3, Foto 4). So ist man bereits bei den Eschen vorgegangen (Foto). Die Eschen leiden aber nicht primär unter der Dürre, sondern vor allem unter einem aus Ostasien eingeschleppten Pilz, der das Eschentriebsterben verursacht (Foto 1, Foto 2).
Keine Frage: In den Wäldern Mitteleuropas vollzieht sich gegenwärtig ein tiefgreifender Wandel. Und dieser scheint sich zu beschleunigen. Massiv betroffen sind die Fichten, die neben der Trockenheit auch unter dem Borkenkäfer leiden (Webgeschichte vom 18. Juli 2019). Die Fichte wird zwar kaum komplett aus dem Schweizer Mittelland verschwinden, aber ihr wird künftig kaum mehr die holzwirtschaftliche Bedeutung der vergangenen Jahrzehnte zukommen. Die Voralpen und Alpen werden hingegen möglicherweise als Lieferanten von Fichtenholz an Bedeutung gewinnen. Ein Nadelholz, das im Bauwesen vermehrt zum Einsatz kommen könnte, ist die Douglasie, die ursprünglich aus Nordamerika stammt (Foto 1, Foto 2, Webgeschichte vom 23. Dezember 2017).
Spannend wird sein, wie sich die Buchenwälder in den nächsten Jahren entwickeln werden. Ihre standörtliche Bandbreite ist beträchtlich. Die Buche könnte uns noch überraschen, und ein Requiem auf sie wäre verfrüht. Aber die Buche wird vermutlich an Dominanz einbüssen.
Sich ausbreiten könnte hingegen der Kirschbaum (vgl. Foto links – dieselbe Foto mit markiertem Kirschbaum). Im Frühling fallen die Kirschbäume im Wald besonders auf, weil sie noch vor dem Blattaustrieb blühen. Im Vergleich zu anderen Baumarten ist ihre Belaubung relativ locker.
Auch Nussbäume könnten von warm-trockenen Bedingungen profitieren. Die wilde Form des Kirschbaums wächst vermutlich schon lange in Mitteleuropa. Die Kulturform mit den leckeren Kirschen hingegen brachten, wie auch den Nussbaum, die Römer hierher – in einer damals eher warmen Periode.
Alles in allem erweist sich der Wald jedoch als erstaunlich robust und resilient. Zumindest bis jetzt. Was aber ist, wenn es in den nächsten Jahrzehnten noch einmal zwei oder mehr Grad wärmer wird?
Es ist und bleibt ein grosses Experiment mit hohen Risiken.
In der NZZ publizierte Artikel:
29. Mai 2020: «Wie Hitze und Trockenheit den Bäumen zusetzen»
10. Juli 2019: «Nach der Dürre steht der Schweizer Wald unter Stress»
2. August 2018: «Wie der Wald unter der Trockenheit leidet»