Ein zweiter Nationalpark für die Schweiz – eine Illusion?

Blick von Spruga ins Onsernonetal, das zum Parco Nazionale del Locarnese gehören würde.

5. Februar 2017 – Ende November 2016 scheiterte der Parc Adula an der Urne. Nach dem vor mehr als hundert Jahren gegründeten Schweizerischen Nationalpark im Engadin hätte es der zweite Nationalpark der Schweiz werden sollen. Doch von den 17 Bündner und Tessiner Gemeinden lehnten acht den neuen Nationalpark ab, neun waren dafür. Das reichte nicht, um zu starten. Zudem stimmten wichtige Gemeinden wie etwa Blenio dagegen.

Die Debatten im Vorfeld der Abstimmung waren heftig und emotional. Sie zeugten von grossem Misstrauen gegenüber Chur und Bern sowie den Naturschutzorganisationen. Der Parc Adula hätte zu einer Modellregion werden können. Diese Chance ist vertan. Das Nein lässt ziemlich viel Ratlosigkeit zurück. Auch Bundesrätin Leuthard äusserte sich nach der Abstimmung in diesem Sinn.

Mit dem Projekt Parco Nazionale del Locarnese bietet sich bald eine zweite Chance. Dessen Perimeter erstreckt sich von den Brissagoinseln über das Centovalli und Onsernonetal bis nach Bosco Gurin. Ein wichtiger Pfeiler des Nationalparks wären die bereits heute bestehenden Waldreservate, in denen der Wald nicht mehr genutzt wird. Mit dem angrenzenden Italien besteht punktuell schon heute eine Zusammenarbeit; beispielsweise im Rahmen eines Interreg-Projektes, das unter anderem die Restaurierung der Bagni di Craveggia umfasste. Doch um das Nationalparkprojekt ist es verdächtig ruhig. Nach dem Nein im Adulagebiet wird es vermutlich noch schwieriger werden, die Bevölkerung im Locarnese von einer Zustimmung zu überzeugen. Das Szenario, dass in der Schweiz in absehbarer Zeit kein zweiter Nationalpark entstehen wird, ist sehr realistisch. Der ehemalige Bündner Nationalrat Andrea Hämmerle ist jedenfalls skeptisch. Er bezweifelt, dass es über einen reinen «bottom up»-Ansatz gelingen wird, einen zweiten Nationalpark zu gründen.

Somit stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. Die Gruppierungen und Organisationen, die für die Gründung neuer Nationalpärken einstehen, müssen über die Bücher. Auf folgende Fragen sind Antworten zu finden: Weshalb ist eigentlich ein neuer Nationalpark für die Schweiz und das Berggebiet wichtig? Macht es aufgrund der bisherigen Erfahrungen überhaupt Sinn, am Ziel eines neuen Nationalparks festzuhalten? Und wenn ja, was müsste sich ändern und welche Wege könnten zum Ziel führen?

Es ist heikel, eine grundsätzliche Debatte anzustossen, solange der Parco Nazionale del Locarnese noch im Rennen ist. Leider aber ist zu befürchten, dass die Luft endgültig draussen ist, sollte auch dieses Projekt an der Urne scheitern. Wird jetzt kein Effort unternommen, dürfte die Nationalpark-Diskussion in der Schweiz in einen langen Winterschlaf eintauchen.

 

Die «Bagni di Craveggia» im Onsernonetal an der Grenze zu Italien.

Einige Zyniker meinen, die Täler im Alpenraum würden sich in absehbarer Zeit noch mehr entvölkern – und so entstünden «Kernzonen» und neue Wildnis ja von selbst. Das mag ja sein. Mir wäre die Variante, bei der sich eine Region bewusst für die Gründung eines Nationalparks entscheidet und sich so neue Perspektiven und interessante Möglichkeiten zur Kooperation mit den wirtschaftlich starken Regionen erschliesst, deutlich lieber. Es wäre ein gegenseitiges Geben und Nehmen, beide Seiten würden profitieren. Somit könnte eine neue Qualität der Zusammenarbeit dieser komplementären Räume entstehen. Vielleicht klappt das alles ja auch ohne Nationalpark. Doch die Anzeichen mehren sich, dass die Partnerschaft zwischen städtischen Regionen und den Berggebieten ein neues Fundament benötigt.
Und dafür braucht es eben auch neue Ideen.

 

 

Kommentar über die Abstimmung zum Parc Adula
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