Der Mann, der grosse Bäume übers Meer transportieren lässt

Im Winterthurer Kino Cameo läuft der Film.

14. Dezember 2021 – Ein Dokumentarfilm aus Georgien. Es ist mitten in der Nacht. Eine geheimnisvolle Stimmung. Die Männer machen einen Baum «reisefertig». Zwei Lastwagen ziehen den Baum im Schritttempo davon. Zwei alte Frauen schauen zu und kommentieren die Szene. Sie sind warm angezogen, sind besorgt umeinander. Es fröstelt sie.

Bei Tageslicht erfasst man die wahren Dimensionen der Bäume, die mit ihrem ganzen Wurzelwerk ausgegraben werden. Ein auf ein Gefährt gehievter Baum fährt davon, die Bevölkerung schaut zu und läuft ihm hinterher. So wie es früher bei den Trauerzügen einer verstorbenen Person war.

Dann wieder Vorbereitungen an einem Baum, der abtransportiert werden soll. Vogelgezwitscher. Eine heile Welt? Ein Kuckuck ruft. Alles in Ordnung? Irgendwie nicht. Zurück bleibt ein grosses Loch im Boden.

Ein älterer Mann sitzt unter der Krone eines grossen Baums, der für den Abtransport bereit ist. Er scherzt mit den Leuten, die vorbeigehen. Ist es zum Lachen oder zum Weinen? Der Mann sagt, seine Grosseltern hätten diesen Baum gepflanzt. Nun hat er ihn verkauft.

Immer wieder Bilder mit einem einsamen, aufrechten Baum im weiten Meer. Einmal fährt ein Frachtschiff vorbei. Gross und trotzdem winzig klein im Ozean, so wie der Baum. Diese Bilder sind das stärkste Symbol für den riesigen Aufwand, der betrieben wird.

Anfang Dezember weilte Salomé Jashi, die Regisseurin des georgischen Dokumentarfilms «Grosser Baum auf Reise» anlässlich des Kinostarts in der Schweiz. Der gewaltige Anblick mit dem Baum auf dem Meer sei der Auslöser für den Film gewesen, sagte sie. Ein unheimlich poetisches Bild. Doch irgendetwas habe die Wahrnehmung auch gestört. Etwas sei falsch und auch brutal gewesen. Die Medien haben laut Salomé Jashi viel berichtet über die Bäume, die übers Meer transportiert wurden. Deren Anblick sei fast normal geworden. Und alle hätten auch gewusst, dass der reichste Mann Georgiens dahinterstecke.

Bidsina Iwanischwili, der hinter den Baumverpflanzungen steht, war in Russland in den wilden 1990er Jahren zu Geld gekommen. In Georgien gründete er die Partei «Georgischer Traum», errang einen Erdrutschsieg und war kurzzeitig Premierminister des Landes. Bis Anfang 2021 war er Chef seines Parteienbündnisses, und hat immer noch grossen Einfluss in Georgien. 200 grosse Bäume, alle über hundert Jahre alt, kaufte er den Ortsansässigen ab, liess diese mit den Wurzeln ausgraben, abtransportieren und in seinem Park wieder einpflanzen.

Nicht alle Betroffenen wagten es, vor der Kamera etwas zu sagen. Viele hatten Angst. Und es war mutig, diesen Film zu machen. Nach langen Verhandlungen kann der Dokumentarfilm ab Januar nun auch in Georgien gezeigt werden.

Salomé Jashi und ihr Team haben während der zwei Jahre dauernden Dreharbeiten Kontakte geknüpft. Den Ingenieuren, die auf ihre Ausgrabungs- und Transporttechnik stolz waren, sagte man, es gehe darum, dieses «Jahrhundert»-Projekt zu dokumentieren. Nach und nach gewann man ihr Vertrauen.

Und so war es sogar möglich, im Arboretum, in das die Bäume gebracht wurden, zu filmen. Surreal und ambivalent ist dieser Park. Privat und im Besitz des reichsten Mannes des Landes, und doch zugänglich für die Öffentlichkeit. Die Bäume sind mit Drahtseilen abgespannt. Die Geräuschkulisse der Tiere wirkt künstlich und unheimlich. Wie vertraut ist da der Lärm des Rasenmähers, der plötzlich auftaucht.

Jack Westoby, der unter anderem für die Welternährungsorganisation FAO der Vereinten Nationen in Rom arbeitete, sagte einmal: «Forestry is not about trees, it is about people». Ich würde etwas abschwächen: Es geht nicht nur um Bäume, sondern vor allem um Menschen. Und das gleiche gilt für diesen Film. Natürlich geht es um Bäume. Vor allem aber geht es um Menschen und um ihr Verhältnis zu ihren Bäumen. Und der Film handelt auch von Armut. Es ist beklemmend, wenn man realisiert, dass Menschen ihre eigenen, vertrauten Bäume verkaufen, um aus purer Not zu etwas Geld zu kommen.

Salomé Jashi ist ein Gesamtkunstwerk gelungen. Man muss sich aber auf den Film einlassen, die Bilder und Handlungen reflektieren und sich selber eine Meinung bilden. Die langen Filmsequenzen lassen einem dafür viel Zeit. Und das ist gut so. Auch wenn es manchmal etwas anstrengend ist.

Webseite des Dokumentarfilms
Interview mit Salomé Jashi über ihren Film
Den Film zu Hause anschauen: Online-Tickets mit Unterstützung eines Kinos

 

Weitere Beobachtungen und Geschichten