Die Saane bei Freiburg – ein Augenschein

Ein vermeintlich intakter Fluss: Die Saane bei der Abbaye d’Hauterive.

18. April 2020 – Schreibe ich einen Artikel über ein Forschungsprojekt, das Fragen mittels Feldforschung zu klären versucht, so rede ich in der Regel mit den beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Im besten Fall findet das Gespräch vor Ort statt. Das ist aber nicht immer möglich. So war es etwa beim Projekt der flussökologischen Untersuchungen in den Auen unterhalb der Staumauer Rossens in Zusammenhang mit der künstlichen Flut vom September 2016. Das Hochwasserereignis habe ich nur auf Fotos und in Videoaufnahmen gesehen. Die ersten Informationen zu diesem wegweisenden Projekt schnappte ich an einer Tagung auf. Die vertiefenden Gespräche erfolgten am Telefon (NZZ-Artikel, Textversion als pdf).

Beim Schreiben wächst oft die Neugier. Und wenn es sich ergibt, besuche die Schauplätze – manchmal eben erst nach der Publikation eines Artikels.

Bei der Saane bot sich die Gelegenheit im Rahmen einer Exkursion der Umweltorganisation Aqua Viva. Nach dem offiziellen Teil erkundete ich die Saane auf eigene Faust. Der kurze Spaziergang förderte wenig schmeichelhafte Erkenntnisse zu Tage: Ein eigentlich landschaftlich attraktives Gewässer vor den Toren der Stadt Freiburg leidet unter verschiedenen und teilweise massiven Belastungen. Die Idylle trügt. Kein Zweifel: An der Saane besteht in verschiedenster Hinsicht grosser Handlungsbedarf. Darauf wiesen jüngst auch wieder mehrere Naturschutz- und Umweltorganisationen hin (Medienmitteilung). Eine kleine Flusswanderung mag dies illustrieren.

 

Die Talsperre Rossens ist 83 Meter hoch.

Seit 1948 staut die Talsperre Rossens den Greyerzersee. Über einen sechs Kilometer langen Druckstollen wird das Wasser bei Hauterive turbiniert. Dadurch ist die Saane zu einer Restwasserstrecke geworden. Während vor dem Bau der Staumauer durchschnittlich 35 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abflossen, sind es heute je nach Jahreszeit nur noch 2,5 bis 3,5 Kubikmeter pro Sekunde. Der Flussabschnitt unterhalb von Rossens wird deshalb auch als «Kleine Saane» bezeichnet. Aus Sicht des Hochwasserschutzes bringt die Talsperre Vorteile, indem sie Hochwasserspitzen dämpft. Weil aufgrund einer mit dem Kanton Freiburg vereinbarten Reserve für den Rückhalt und stetig verbesserter Abflussprognosen der Stausee ideal bewirtschaftet werden kann, kommt die sogenannte Hochwasserentlastung bei der Staumauer kaum noch zum Zug. Also Folge davon fehlen «natürliche» Hochwasser fast gänzlich.

Die fehlende Dynamik wirkt sich auf das Flussbett und die Vegetation in der Auenlandschaft von nationaler Bedeutung der Kleinen Saane aus. Starkes Algenwachstum, eine durch Feinmaterial verstopfte Flusssohle (Kolmation) und mit Pflanzen überwachsene Kiesbänke sind die Folge davon. Dadurch verschlechtern sich die Bedingungen für die Fortpflanzung der Forellen, die ihre Eier in lockeren Kies legen. Auch bei den ans Wasser gebundenen Insekten (Markrozoobenthos) ergeben sich Veränderungen im Artenspektrum. Flohkrebse nehmen Überhand, während sich die Lebensbedingungen für die zum Teil seltenen Stein-und Eintagsfliegen verschlechtern.

 

Starkes Algenwachstum.

Das Bachbett der Kleinen Saane und …

… Kiesbänke bei der Abbaye d’Hauterive.

An den Flüssen befinden sich attraktive Siedlungsorte. Mühlen nutzten in früheren Zeiten die Wasserkraft, Kleinstwasserkraftwerke tun es teilweise heute noch. In einer Saaneschleife liegt die pittoreske Abbaye von Hauterive (Foto). Über ein Brücke gelangt man zu attraktiven Flussabschnitten mit Felsen und ausgedehnten Kiesbänken.

Nur wenige hundert Meter flussabwärts befindet sich die Kraftwerkszentrale Hautrive. Hier wird das über eine Druckleitung zugeführte Wasser aus dem Greyerzersee turbiniert und danach der Saane zurückgegeben. Im Vergleich zur Abbaye eine völlig andere Welt. Doch die nicht selten stilvoll gehaltenen alten Kraftwerksbauten stehen für den gesellschaftlich-wirtschaftlichen Aufbruch im 20. Jahrhundert. Und es ist so: Wir alle benötigen Strom. Elektrizität spielt zudem eine Schlüsselrolle auf dem Weg in eine dekarbonisierte Wirtschaft, die mit einem stark reduzierten Einsatz an fossiler Energie auskommen muss.

 

Kraftwerkszentrale Hauterive.

Eine andere Welt.

Stromproduktion für 46000 Haushalte.

 

Kein idyllischer Ort.

Schutzvorkehrungen bei der Deponie La Pila.

Die Kehrseite der Medaille: Die bedarfsgerechte Turbinierung von Wasser führt zu täglich stark schwankenden Abflussverhältnissen. Innerhalb kurzer Zeit steigt der Wasserstand in den Flüssen stark an (Schwall). Damit decken die Speicherkraftwerke den Spitzenbedarf an elektrischer Energie ab. Der umgekehrte Vorgang, wenn die Turbinen zurückgefahren werden, führt zu einer abrupten Abnahme des Abflusses (Sunk). Diese Abflussdynamik unterscheidet sich stark von den natürlichen Hoch- und Niedrigwassern.

Die Folgen von Schwall-Sunk sind mit Feinmaterial überzogene Uferbereiche, eine kolmatierte Flusssohle, unnatürlich fehlende Vegetation sowie gestrandete Wasserlebewesen. Die Ufer der Saane bieten in diesem Abschnitt ein trauriges, fast surreales Bild. Eine Sanierung ist dringend notwendig. Lieber heute als morgen. Eine Lösung muss gefunden werden, auch wenn sie nicht ganz billig sein wird.

Gegenüber befindet sich die Deponie La Pila. Eine Altlast der ganz giftigen Sorte aus einer anderen Zeit, direkt am Fluss gelegen. Die Deponie der Stadt Freiburg war von 1952 bis 1973 in Betrieb. Abgelagert wurden hauptsächlich Siedlungsabfälle, aber auch Bauabfälle sowie Gewerbe- und Industrieabfälle.

Ein Fischer wenig unterhalb der Deponie.

2007 sind unterhalb der Deponie hohe PCB-Gehalte (polychlorierte Biphenyle) im Grundwasser gemessen worden. Die Schadstoffe gelangten auch ins Flusswasser und führten zu einer Kontamination der Fische.

Die Deponie muss saniert werden. Bisher sind Sofortmassnahmen und Teilsanierungen durchgeführt worden. Weitere Abklärungen sind im Gang und dem Bundesamt für Umwelt unterbreitet worden. Ab 2022 soll mit der definitiven Sanierung begonnen werden. Die Kosten werden je nach Variante auf 100 bis 200 Millionen Franken geschätzt – eine kostspielige Hinterlassenschaft.

Nachdem die Behörden in den Fischen hohe PCB-Gehalte festgestellt hatten, verfügten sie ein Fischreiverbot in der Saane bis zum Schiffenensee. Im November 2016 ist das Verbot aufgrund gesunkener PCB-Werte in den Fischen gelockert worden. Grosse Fische dürfen aber immer noch nicht verzehrt werden, und die gefangenen Fische dürfen nicht weitergegeben werden. Zudem darf ein Erwachsener nicht mehr als 250 Gramm Fisch pro Woche aus der Saane konsumieren, für Kinder und Frauen im gebärfähigen Alter gilt ein Konsumverbot (vgl. Mitteilung vom 30. November 2016).

Die Fischer lassen sich davon nicht abbringen. Mit welchem Appetit sie ihre Fische konsumieren, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

 

 

TEC21 10/2020 – Das Dilemma mit der Wasserkraft – Fachartikel (.pdf-Dokument)

 

Weitere Beobachtungen und Geschichten